Freitag, 18. März 2011

Ulrich Straeter
Ene mene muh

Tatort: Ruhrgebiet 1979

Schäfer schwitzte. Die beiden Filmleuchten des Teams rissen nicht nur jeden Winkel des Kellers aus dem Dunkel, sondern hatten den Raum auch zur Sauna gemacht. Schäfer hätte nie gedacht, dass er als Pensionär noch einmal mit dieser Sache zu tun bekommen würde.
»Können wir?« Der Reporter fasste sein Handmikro fester, der Kameramann schulterte die Betacam, und der Schlosser entzündete die Flamme seines Schweißbrenners.
Schäfer sah, wie die blaue Feuerlanze sich der Tresortür näherte, während der Reporter mit angemessener Dramatik seinen Aufsager in die Kamera machte: »Das ist der Tresor von Edwin Rombach. Wir sind hier im ehemaligen Haus des ehemaligen Ölkönigs von Wanne-Eickel. Wo genau, das können wir nicht sagen, weil der jetzige Eigentümer, der es aus einer Zwangsversteigerung erworben hat, Wert auf Diskretion legt. Jahrelang hat er nicht gewusst, was für einen – sagen wir – prominenten Vorbesitzer er hier hatte. Als er vor einem halben Jahr seinen Keller ausbauen wollte und eine Trennwand einriss, entdeckte er diesen Tresor, der seit 30 Jahren unberührt ist. Womöglich seit dem Tag, als Edwin Rombach auf der Flucht vor Staatsanwaltschaft, Finanzamt und Zollfahndung abtauchte – mit knapp fünf Millionen Mark in bar. Er hinterließ fast 500 Millionen an Steuerschulden, einen arglosen Amateurfußballverein, den er gesponsert hatte und eine Menge Fragen.«
Die Flamme des Schneidbrenners grub sich ins Metall der Tresortür. Es roch scharf nach verbrannter Farbe. Und plötzlich hatte Schäfer das Mikro vor dem Gesicht. »Bernd Schäfer war damals bei der Zollbehörde in Essen für die Vollstreckung der Steuerschulden zuständig. Wie war das damals, Herr Schäfer?«

Auf Platz 1: Die Village People mit: »Y.M.C.A«
Gefolgt von Platz 2: Blondie mit »Heart of Glass«
Und als Neueinsteiger auf Platz 10: Boney M. mit »El Lute«


Ja, wie war das damals?
Bregenz und Faller vom Zollfahndungsamt Düsseldorf schauten meist kurz nach Mittag vorbei. Wenn sie 'vor Ort' ermittelten, wollten sie immer ein wenig reden, im Außendienst vereinsame man sonst, meinten sie.
Schäfer, Zollinspektor beim Hauptzollamt Essen an der Trentelgasse, zuständig für die Zwangsvollstreckung hinterzogener Zölle und Verbrauchssteuern, war dann meist schon zurück aus der Mittagspause. Die dauerte offiziell eine halbe Stunde, doch daran hielt sich niemand. Auch Schäfer überzog, meist eine Viertelstunde, wenn er nach dem Essen in der Kantine des Hauptbahnhofs noch kurz über die Kettwiger schlenderte. Auch beim Überziehen der Mittagspause wurde im Hauptzollamt die Hierarchie eingehalten: die Chefs brauchten ein bis zwei Stunden, um zu ihren weichen Sesseln zurück zu kehren.
Schäfer redete gern mit den beiden Fahndern, nicht nur weil er einige ihrer Fälle später zur Vollstreckung der hinterzogenen Steuern auf den Tisch bekam. Was nicht unbedingt immer so angenehm war, denn hinterzogene Steuern herein zu holen, war, gerade bei den größeren Summen, ein mühsames Geschäft.
An manchen Tagen, wenn gegen drei das ganze Hauptzollamt nach dem schweren Kantinenessen langsam im Schnitzelkoma versank, warf ihm Terhart, ein Kollege vom mittleren Dienst, zur Anregung schon mal ein paar Dänen-Pornos auf den Schreibtisch. »Aus unserer Asservatenkammer, beschlagnahmte Ware.«
Beschlagnahmt nicht wegen Schweinerei, sondern weil sie geschmuggelt worden waren, um die Umsatzsteuer zu hinterziehen. Schäfer blätterte dann lustlos in den Heften herum – erst eine Seite Werbung, dann ging es los: Ein Frachter legt im Hafen an. Ein smarter Seemann geht von Bord, schicke dunkelblaue Uniform, weiße Litzen. Schirmmütze. Noch im Hafengelände wird er von zwei hübschen aufgedonnerten Damen angesprochen. Eine Superblonde und eine Schwarzhaarige. In sehr kurzen Röcken, man kann die Slips sehen. Sie ziehen ihn in den Eingang eines Lagerschuppens. Plötzlich hat die Blonde die Titten draußen, die Schwarzhaarige knöpft dem Matrosen die Hose auf, geht in die Knie. Großaufnahme. Die dürftigen Texte entfielen jetzt, aber Schäfer konnte die Bildergeschichten ohnehin inzwischen fast auswendig herbeten. Die Fotos waren gut. Scharf. Da waren Profis am Werk gewesen, das wurde Schäfer immer dann klar, wenn sich bei ihm etwas regte. Die Blonde war inzwischen nackt und die Schwarzhaarige griff …
Die Fortsetzung sollte im nächsten Heft folgen und versprach, dass auch der Kapitän noch auftauchen würde.

Eines Tages schien Bregenz und Faller irgendetwas zu bedrücken. Es dauerte einige Zeit, bis sie damit herausrückten.
»Wir sind gestoppt worden!«, sagte Bregenz.
»Wie, gestoppt?«, fragte Schäfer.
»An der Arbeit gehindert«, sagte Faller.
»Nicht so laut«, meinte Bregenz.
Schäfer zog die Augenbrauen hoch, stand auf und schloss die Tür zum Nachbarbüro, wo eine junge Kollegin an der Statistik des Hauptzollamtes arbeitete.
»Euminsco!«, sagte Faller.
»Und Rombin«, ergänzte Bregenz.
»Ach«, sagte Schäfer.
weiter in: Schicht im Schacht
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Die Vorlage für Story ist die "Goldbach-Affäre". Dazu:
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Arne Poll: Auf Jagd nach den Goldbach-Millionen, WAZ Herne, 11.10.2010
Erhard Goldbach bei WIKIPEDIA


Der Autor:
Ulrich Straeter
, geboren 1941 in Dortmund, lebt seit 1968 in Essen. Er arbeitete von 1968 bis 1981 bei der Bundesfinanzverwaltung, studierte dann Germanistik, Geschichte und Erziehungswissenschaften und machte 1986 sein Staatsexamen. Seitdem arbeitet er im Kunst- und Kulturbereich als Organisator, Autor und Verleger. Nach zahlreichen Reisebüchern veröffentlichte er 2010 seinen ersten Kriminalroman – den Revierkrimi »Grüne Minna«.