Tatort: Dortmund und Umgebung
Andreas Mirloff rückte den Krawatten-Knoten zurecht, bevor er die Schwingtür des »Café Kleimann« aufstieß, setzte sein Lächeln Nummer sechs auf - schüchtern, verlegen, aber gleichwohl tapfer - und musterte rasch die Gäste.
Für elf Uhr morgens war das Café in der Dortmunder Innenstadt gut besetzt, einige wenige Männer und viele Frauen. Es summte und schnatterte pausenlos.
Sibylle Frantzen saß am Fenster und schaute ängstlich in seine Richtung. Auch ohne die verabredeten Zeitschriften auf dem Marmortischchen erkannte er sie sofort; ihr Profilbild aus dem Dating-Forum hatte nicht gelogen, sie war tatsächlich so hübsch und selbst im hellen Sonnenschein sah sie jünger aus als 38. Gepflegt und ansehnlich, außerdem so dezent wie teuer gekleidet.
Seine Laune hob sich, die Mundwinkel wechselten in Position eins - ehrliche Freude.
»Grüß Gott … Sibylle!«, sagte er aufgekratzt. »Ich bin Andreas … Andreas Mirloff.« Seine Verbeugung war nur angedeutet, Folge der schnellen Überlegung, dass er einer solchen Frau mit übertriebener Höflichkeit nicht imponieren würde.
»Guten Tag, Andreas.« Zwei-, dreimal blinzelte sie schnell und reichte ihm dann die Hand, die er nur drückte Handkuss war nicht angebracht. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Bitte, setzen Sie sich doch!«
»Vielen Dank.« Er lachte offen und gestand: »Ich bin etwas aufgeregt.«
»Das geht mir nicht anders.«
»Obwohl ich nach unseren vielen Mails glaubte, ich würde Sie schon gut kennen.«
»Sie nehmen mir wieder das Wort aus dem Mund.« Ihr Seufzer war nicht ernst gemeint. »Es ist … es ist etwas ungewöhnlich, sich auf diese Art zu treffen.«
»Ja«, pflichtete er bei und betrachtete entzückt ihren Diamantring. »Beim ersten Mal ging's mir auch so, ich fühlte mich ziemlich unbehaglich.«
»Beim ersten Mal?«, forschte sie, die Stimme senkend.
»Dann haben Sie sich … schon häufiger auf … auf diesem Internet-Portal umgesehen? «
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Der Autor:
Horst Bieber, geboren 1942 in Essen, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik, volontierte bei der WAZ und arbeitet von 1970 bis 1997 - zuletzt als Chef vom Dienst - für die Wochenzeitung DIE ZEIT. 1982 veröffentlichte er mit »Sackgasse« seine ersten Krimi, eine Privatdetektivgeschichte aus dem Revier. Es folgten bis heute mehr als 20 Romane, zahlreiche Hörspiele und Fernsehdrehbücher.