»Jetzt kann wirklich nichts mehr schief gehen.« Verena Kwiatkowski war seit fünfzehn Jahren Assistentin bei der Kripo Essen und wusste alles über Entführungen und die Übergabe des Lösegeldes. In Theorie und Praxis war sie gleichermaßen ein Ass. »Mit dem Czarnowanz - das ist wirklich genial.«
Der das sagte, war Uwe Kubschütz, ein zerbrechlich wirkender junger Mann von knapp dreißig Jahren, der am Bahnhof Altenessen einen Computerservice betrieb, der allerdings trotz der Konjunktur in dieser Branche kaum seinen Mann ernährte, so dass Uwe nebenbei noch drei Tage in der Woche als Aushilfsmüllkutscher für die Entsorgungsbetriebe Essen arbeiten musste.
Was beide vereinte, Uwe und Verena, war nicht nur die Liebe, sondern auch der Traum von einem Leben, das darin bestand, immer on the road zu sein und auf einer Luxusyacht über die Meere zu schippern, von Hamburg nach Hawaii, von Java nach Rio, von Hongkong zu den Fidschi-Inseln, und mit den Großen dieser Welt Partys zu feiern und Champagner zu schlürfen.
Danach wollten sie in die DomRep und in Puerto Plata ein Hotel eröffnen - wie das ging, hatten sie zuletzt in einer Dokusoap auf RTL2 gesehen. Da würden sie dann in Ruhe den Rest ihres Lebens genießen.
Um das alles mit ihren nicht eben hohen Einkommen finanzieren zu können, hätten sie allerdings 1000 Jahre warten müssen. Wenn man jeden Monat nicht einmal 500 Euro auf die hohe Kante legen konnte und für seine Pläne mindestens fünf Millionen brauchte, dann ging das halt nicht schneller.
So hätten also Uwe und Verena alle ihre Träume begraben können, wenn da nicht Winfried Czarnowanz gewesen wäre, der mit seinen diversen Firmen ein reicher Mann geworden war. Nur wenige wussten das, denn Czarnowanz betrieb seine Holding unter einem Namen, der nichts verriet, und lebte perfekt getarnt in einem kleinen Einfamilienhaus an der Liboristraße in Katernberg. Die Nachbarn hielten ihn für einen ganz normalen leitenden Angestellten. Er ging auf die Sechzig zu, die Kinder studierten im Ausland und seine Frau schien ab und an zu trinken. Aber auch das war ja ganz normal.
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Und diesen Winfried Czarnowanz hatten sich Uwe und Verena nun als Opfer für ihr Kidnapping ausersehen.
Verena hatte alles sorgfältig recherchiert. »Das sind Leute, die darauf aus sind, nur nicht aufzufallen. Fünf Millionen sind ein Klacks für sie. Wenn wir seine Frau anrufen, wird sie auf der Stelle zahlen. Nur kein Aufsehen, nur keine Medien. Das wird genauso abgehen wie damals bei der Entführung dieses Discount-Millionärs aus Schonnebeck.«
Uwe Kwiatkowski nickte. »Das Versteck ist vorbereitet, ebenso alles für die Kontaktaufnahme mit ihr. Und was dann noch die Übergabe des Lösegeldes betrifft, da …«
»… da sehe ich die geringsten Probleme, Bärchen!«, sagte Verena. »Das einzige Risiko, das ich noch sehe, liegt im Zugriff. Dass es Zeugen gibt, wenn wir Czarnowanz morgens abfangen, dass jemand das sieht und meine lieben Kollegen anruft …«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
***
Und in der Tat, es klappte alles wie vorausberechnet. Als der Wagen der Essener Entsorgungsbetriebe am Mittwochmorgen in der Liboristraße langsam an Czarnowanz vorbei rollte, war das so alltäglich, dass der nicht einmal hinsehen mochte. Aber auch in diesem Falle wäre ihm nicht aufgefallen, dass diesmal ein anderer Müllwerker als sonst am Steuer saß.weiter in: Schicht im Schacht
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Der Autor:
-ky, alias Horst Bosetzky, geboren 1938 in Berlin, legte mit seinen Romanen in den achtziger Jahren gemeinsam mit anderen den Grundstein für den neuen deutschen Krimi. Er veröffentlichte bisher rund 80 Bücher, sowie zahllose Stories und Hörspiele. Zuletzt erschienen von ihm in der Reihe um den Kriminalkommissar Kappe aus dem Berlin der 30Jahre die beiden Romane »Bücherwahn« (2010) und »Feuereifer« (2011). Über den Kumpel, mit dem er hier zusammengearbeitet hat, ist nur bekannt, dass er tief in der Krimiszene des Reviers verstrickt ist.