Donnerstag, 17. März 2011

Gerd Herholz
ZEN in der Kunst des Absahnens

Tatort: Duisburg und Umgebung

Ausatmen, sagte sie sich, Ausatmen nicht vergessen. Wozu sonst das ganze Zen-Sitzen, seit fast einem Jahrzehnt jeden Morgen Zazen. Und danach die Qigong-Übungen. Also, komm, die Ruhe bewahren, atme vollständig aus.
Genau wie Suzuki Rôshi geschrieben hatte: Es ist sehr wichtig, sich um die Ausatmung zu kümmern. Wenn wir immer versuchen, lebendig und aktiv zu sein, geraten wir in Schwierigkeiten. Wenn wir aber ruhig sein oder uns in Leere auflösen können, dann wird ganz von selbst alles in Ordnung kommen. Buddha wird für uns sorgen.
Und so ist es auch gekommen. Nachdem sie für sich selbst gesorgt hatte, hatte auch Buddha für sie gesorgt – und gar nicht mal schlecht: dreimal in den letzten zehn Jahren. Dreimal war es überraschend gut gelaufen, zu gut vielleicht, mag sein. Trotzdem, irgendwann in den nächsten Wochen würde sie es nach zwei Jahren wieder tun, in Duisburg diesmal. Noch war das Geld nicht knapp, aber genau darauf wollte sie nun wirklich nicht warten.
Sie hatte den Platz noch sorgfältiger gewählt als sonst. Hatte die Archive der Lokalzeitungen durchstöbert, hatte Berichte über Banküberfälle, Beutesummen, häufigste Tatzeiten und Aufklärungsquoten studiert, die örtliche Kriminalstatistik ausgewertet und sich dann präzise entschieden.
Für die Hauptsparkasse an der Kö, eine Sparkasse, die eine Beute von mehreren hunderttausend Euro versprach. Eine Sparkasse, deren Sicherheitsvorkehrungen lange so schlicht ausgesehen hatten, dass ein Überfall kleinen Idioten immer mal wieder aussichtsreich vorgekommen war. Außerdem wurde da gerade umgebaut. Viel los hier an der Königstraße, ziemlich viel Durcheinander so nah am neuen Forum Duisburg, European Shopping Mall 2010. Mit der Goldenen Himmelsleiter davor, Kunst am Bau, muss so 60 Meter hoch sein, mit Blattgold feuerveredelt, hatte sie gelesen.

Größere Kartenansicht
Sie saß mit ihrem Buch am Café Dobbelstein, heute auf der Terrasse draußen, ganz nah bei der Sparkasse, das Wetter war mild. Wenn's kühler war, schaute sie von drinnen durch die große Fensterfront. Seit Wochen saß sie so, drinnen oder draußen, sah scheinbar desinteressiert der ruhelosen Menge zu, ohne je den Eingang der Sparkasse aus den Augen zu verlieren. Nur eine Frage der Zeit, das Ganze. Zeit, in der sie mit offenen Augen meditierte oder nebenbei las. Heute lag Sunzi vor ihr, »Die Kunst des Krieges«:...
weiter in: Schicht im Schacht
andere Story über Bankräuber in Duisburg: Ilka Stitz: Die Unsichtbaren
andere Story aus Duisburg: Nadine Buranaseda: Wonderful life

Der Autor:
Gerd Herholz, geboren 1952 in Duisburg, studierte Germanistik, Psychologie und Pädagogik. Gymnasiallehrer, Stadtteilkulturarbeiter, daneben journalistische Arbeiten und Gedichte. Heute ist er wissenschaftlicher Leiter des Literaturbüros Ruhr in Gladbeck und bloggt bei den Ruhrbaronen. Er veröffentlichte unter anderen »Die Musenkussmischmaschine - 132 Schreibspiele«(mit Bettina Mosler) und zuletzt als Herausgeber »Stimmenwechsel - Poesie längs der Ruhr« (2010).

Keine Kommentare: